Der Erwartungseffekt beschreibt das Phänomen, dass Erwartungen die Wahrnehmung und das Verhalten von Menschen systematisch beeinflussen. Erwartungen, die wir an andere haben, beeinflussen uns zum einen selbst, indem wir dazu neigen, Informationen selektiv wahrzunehmen und ausschließlich so zu interpretieren, dass sie unsere Erwartungen bestätigen. Sie beeinflussen aber auch andere, weil Menschen dazu neigen, die Leistungen zu erbringen, die andere von ihnen erwarten.
Ein weitere Mechanismus besteht darin, dass Menschen wenn sie an eine Vorhersage glauben, letztendlich genauso agieren, dass sie sich erfüllt. Es kommt zu einer positiven Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten.
Ursprung
Der Erwartungseffekt wurde massgeblich durch den amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal geprägt, der ihn in den 1960er-Jahren in seinen Studien zur Selbstwirksamkeit und Lehrer-Schüler-Interaktionen untersuchte. Besonders bekannt ist seine Arbeit im Rahmen der sogenannten «Pygmalion-Studie», die zeigte, wie die Erwartungen von Lehrern die Leistung ihrer Schüler beeinflussen können.
Als Lehrer eine neue Klasse übernahmen, sagten ihnen die Schulleiter, dass die Klasse aus den besten und intelligentesten Schülern bestehe. Am Ende des Schuljahres war die Klasse tatsächlich besser als alle anderen - die Noten und sogar der IQ der Schüler lagen um mehr als 20 Punkte höher.
Das Bemerkenswerte an dem Experiment: Die Schulleiter hatten gelogen. In Wirklichkeit handelte es sich bei der Klasse um eine Zufallsauswahl. Weil aber die Schüler selbst glaubten, zu den Besten zu gehören, und die Lehrer ihnen mehr zutrauten, stieg die Leistungs- und Lernkurve auch in der Realität steil an. Die Ergebnisse von Rosenthal und Jacobson wurden später durch exemplarische Studien z.B. von Lee Jussim und Kent Harber bestätigt. Der Effekt deckt sich zu grossen Teilen mit dem der «Selbsterfüllenden Prophezeiung».
- Rosenthal, R., & Jacobson, L. (1968). Pygmalion in the Classroom. New York: Holt, Rinehart & Winston.
- Rosenthal, R. (1976). Social Psychology. Boston: Allyn & Bacon.
Praktische Anwendung im UX- und UI-Design
Im UX- und UI-Design ist der Erwartungseffekt von zentraler Bedeutung, da die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer massgeblich deren Wahrnehmung und Interaktion mit einem digitalen Produkt beeinflussen. Designerinnen und Designer können gezielt Erwartungen aufbauen und steuern, indem sie der Zielgruppe vertraute und interpretierbare Designmuster präsentieren. Beispielsweise erwarten Nutzerinnen und Nutzer auf einer E-Commerce-Website bestimmte Layouts für Produktseiten oder Bestellprozesse; das Einhalten dieser Erwartungen kann die Benutzerfreundlichkeit und Zufriedenheit erheblich erhöhen – siehe dazu auch Jakobs Gesetz.
Zudem lässt ein ansprechendes und ästhetisches Design die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an die Funktionalität steigen, wie der Ästhetik-Usability-Effekt verdeutlicht. Ein ästhetisch gestaltetes Interface führt dazu, dass Nutzerinnen und Nutzer eine höhere und bessere Funktionalität erwarten.
Durch ein ästhetisches Design können Designerinnen und Designer also nicht nur die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an die Benutzerfreundlichkeit positiv beeinflussen, sondern auch die Zufriedenheit langfristig erhöhen. Es ist jedoch wichtig, dass die funktionalen Erwartungen nicht zu weit von der Realität abweichen, da es sonst zu einem Gefühl der Enttäuschung kommt.
Einfluss auf die User Experience
starkWeiterführende Informationen
- Pygmalion effect - en.wikipedia.org
- Subject-expectancy effect - en.wikipedia.org
- Self-fulfilling prophecy - en.wikipedia.org