Der «Fluch des Wissens» beschreibt eine weit verbreitete kognitive Verzerrung. Wir alle neigen dazu, beim «Storytelling» unsere eigenen kommunikativen Ziele zu verfolgen. Das erscheint uns auf den ersten Blick völlig richtig, aber paradoxerweise ist dies oft der Grund für das Verfehlen unserer kommunikativen Ziele.
Das liegt daran, dass eine absender-orientierte Kommunikation zu wenig auf die Empfänger eingeht. Diese schalten dann auf der kommunikativen Ebene einfach ab, weil sie die Geschichte nicht berührt oder weil sie mit ihr nichts anfangen können.
Ursprung
«Fluch des Wissens» ist leider ein sehr unglücklicher Begriff für diesen Effekt. Er hat sich nur deshalb etabliert, weil er durch das Buch «The curse of knowledge in economic settings» populär geworden ist (Olivola, C. Y., & Fischhoff, B. – 2003).
Er suggeriert leider, dass diese Verzerrung etwas mit Wissen zu tun hat und vor allem von Menschen mit hohem Expertenwissen praktiziert wird. Das ist aber nicht essentiell kennzeichnend für diese Verzerrung, eher im Gegenteil: Menschen, die viel wissen, kennen oft diesen weit verbreiteten Effekt und berücksichtigen ihn bei ihren Abhandlungen. Viel häufiger unterliegen Menschen mit wenig Verständnis und begrenztem Wissen dieser Verzerrung (siehe: Dunning-Kruger-Effekt).
Ich ziehe es daher vor, diese Verzerrung als «Absender-orientierte Kommunikation» zu bezeichnen, die eigentlich auf zwei anderen zugrunde liegenden Verzerrungen beruht:
Effekt des falschen Konsens
Dieser Effekt beschreibt die Tendenz, die eigenen Überzeugungen und Verhaltensweisen für verbreiteter und üblicher zu halten, als sie tatsächlich sind. Dadurch überschätzen Kommunikatoren, wie gut ihre Botschaften bei den Empfängern ankommen und verstanden werden.
Dabei wird die Plausibilität und Wirksamkeit persönlicher Argumente völlig überschätzt. Nur weil etwas für einen selbst aufgrund des eigenen Wissens- und Erfahrungshintergrundes völlig plausibel erscheint, muss dies nicht zwingend auch für andere gelten. Diese können einen völlig anderen Erfahrungs- und Wissenshintergrund haben und können der Argumentationskette nicht folgen.
Dieser Effekt ist besonders stark, wenn die Storyteller in einer sogenannten «Blase» leben, also in einer Welt oder Umfeld, das für sie normal erscheint, den Empfängern aber eher unbekannt ist. Weitere Infos zum: Effekt des falschen Konsens
Projektions-Effekt
Der Projektions-Effekt bezeichnet die Tendenz, eigene Ansichten, Neigungen und Gedanken auf andere zu übertragen, mit denen man sich verbunden fühlt. Dies führt dazu, dass kommunizierende Personen davon ausgehen, dass ihre Zuhörer bestimmte Themen genauso interessant finden wie sie selbst. Dies ist aber nicht immer der Fall. Auch verfügen Empfänger oft über einen anderen Kommunikations- und Sprachstil oder ein ganz anderen Wortschatz, der nicht berücksichtigt wird.
So kommt es, dass Absender, die davon ausgehen, dass der kommunikative Kontext und das notwendige Interesse bei ihren Zuhörern vorhanden sind, ihre Geschichten so präsentieren, wie sie diese gerne selbst hören möchten und nicht so, wie sie gehört werden sollten, um optimal verstanden zu werden.
Dabei verlieren sie sich oft in Details, die ihnen persönlich wichtig sind, deren Relevanz aber von den Zuhörern nicht nachvollzogen werden kann. Wie bereits angedeutet, führt dies häufig zu Desinteresse, Ablehnung oder Abbruch der Kommunikation.
Wie gesagt, wir alle neigen zu dieser Verzerrung, weil es sehr schwer ist, die eigene Subjektivität abzulegen. Professionellen Kommunikatoren hilft es jedoch, bereits bei der Planung und dem Aufbau einer Story eine konsequent empfängerorientierte Perspektive einzunehmen.
Das Diagramm stellt den Konflikt zwischen Absender- und Nutzerorientierung pointiert dar. Daher kommt es, das in fast allen Projekten UX-Designer ihre Stakeholder dazu antreiben müssen, eine nutzerzentrierte Sichtweise einzunehmen, damit ihre Lösung tatsächlich das Interesse der Zielgruppen findet.
Praktische Anwendung im UX- und UI-Design
Dieser Effekt lässt sich auch von der sprachlichen auf die visuelle Kommunikation übertragen. Kommunikations-Designer sollten daher nicht davon ausgehen, dass ihr visueller Stil allgemeingültig ist oder von den Zielgruppen eines Projekts immer positiv aufgenommen wird.
Icons oder Beschriftungen, die man selbst intuitiv versteht, weil man sich schon lange mit visueller Kommunikation beschäftigt, können für Nicht-Designer völlig unverständlich sein. UX/UI Designer sind daher gut beraten, ihre eigenen Annahmen und Vorlieben nicht überzubewerten, sondern grundsätzlich durch Nutzerforschung und nutzerzentrierte Designmethoden zu überprüfen.
Jakob Nielsen begann einmal einen Vortrag, den er an UX/UI-Designer adressierte, mit den Sätzen:
1. Sie sind nicht Ihr Benutzer
2. Ihr Benutzer ist kein Designer
Designer wissen in der Regel viel zu viel und können weder objektiv noch empathisch beurteilen, wie es sich anfühlt, keine Kenntnis von der Materie zu haben. Sie unterliegen, wie der Titel dieses Effekts treffend beschreibt, allzu oft dem Fluch des Wissens.
Deshalb ist es wichtig, Nutzerforschung und Nutzertests durchzuführen, um Produkte zu entwickeln, die den Erwartungen und den Kenntnisstand der Nutzer entsprechen und nicht unseren eigenen.
Ebenso sollten sich Storyteller fragen, wofür sich die Zielgruppe interessieren könnte, welchen Sprachstil sie bevorzugt, was man bei ihr als Vorwissen voraussetzen kann und was unbedingt weiterer Erklärungen bedarf, um verstanden zu werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Kommunikation abbricht oder sich die Zielgruppe desinteressiert abwendet.
Einfluss auf die User Experience
starkWeiterführende Informationen
- You are not the user - biasedbydesign.com
- The False-Consensus Effect - www.nngroup.com